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Griechenlands Krise als Chance? Öffentliche Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Kostas Chryssogonos (Mitglied des Europäischen Parlamentes für die Syriza Partei und Staatsrechtler an der Universität in Thessaloniki)

Nachdem auch Griechenland in 2000 den Euro eingeführt hat, kam es zu einer sehr hohen Auslandsverschuldung, die aber erst in den letzten Jahren offensichtlich wurde. Nur durch enorme Anstrengungen konnte eine Staatspleite in der Wiege Europas verhindert werden. Aber dennch: Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist immer noch hoch, der Binnenmarkt in vielen Bereichen zusammengebrochen. Kann sich Griechenland in absehbarer Zeit überhaupt aus dieser Krise befreien? Wo liegen die Wurzeln des Übels und was muss getan werden - und von wem? Unter welchen Bedingungen kann Griechenland für unternehmerische Aktivitäten im In- und Ausland wieder attraktiv werden?

In einer öffentlichen Podiumsdiskussion zum Thema "Griechenlands Krise als Chance? Eine verfassungsrechtliche und ökonomische Sicht" diskutierten Prof. Dr. Kostas Chrysogonos (Mitglied des Europäischen Parlamentes für die Syriza Partei und Staatsrechtler an der Universität in Thessaloniki) am 02. Dezember 2012 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit Prof. Dr. Heinz-Dieter Smeets (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Internationale Wirtschaftsbeziehungen) und Prof. Dr. Barbara E. Weißenberger (Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Accounting). Die Moderation übernahm Prof. Dr. Martin Morlok, Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie.

Die Diskussion zeigte zum einen, dass das Thema nicht neu ist – in den letzten zweihundert Jahren, so erläuterte Kostas Chryssogonos, habe Griechenland viermal einen Staatsbankrott erlebt. Und auch bei der heutigen Wirtschafts- und Bankenkrise ist fraglich, ob sie tatsächlich aus eigener Kraft gelöst werden kann. Ökonomen – übrigens auch ein Begriff, der aus der griechischen Sprache stammt – fragen sich vor diesem Hintergrund aber auch, ob die Lage wirklich so verzweifelt und aussichtslos ist, wie es scheint  - oder ob in dieser Krise nicht auch der Keim einer Chance liegt. Denn es gibt viele Beispiele, dass Krisen überwunden werden können. Dafür gibt es viele Beispiele: Sowohl volkswirtschaftliche Krisen – man nehme als Beispiel die Ölkrise in den 1970er Jahren oder die Schuldenkrise in Lateinamerika –, aber auch Unternehmenskrisen, wie z.B. bei Chrysler in den 1980er Jahren oder beim Chip-Hersteller Infineon zu Beginn der 2000er Jahre. All diese Krisen sind heute erfolgreich überwunden. Aber dieser Erfolg kommt nicht automatisch, sondern nur durch gutes Krisenmanagement. Und die Frage, die sich dabei stellt, ist: Wie muss ein gutes und nachhaltiges Krisenmanagement für Griechenland aussehen?

Gerade Betriebswirte interessiert dabei ganz besonders ein Hebel, nämlich unternehmerische Aktivitäten. Je mehr Unternehmen nämlich einerseits in bzw. mit Griechenland Geschäfte machen wollen, je mehr Unternehmen sich in Griechenland ansiedeln wollen, je mehr unternehmerische Aktivitäten in Griechenland selbst entfaltet werden, umso größer ist das Leistungspotenzial Griechenlands und damit die Chance auf Wohlstand und Prosperität. Aber unternehmerische Aktivitäten – sei es durch griechische Unternehmer selbst, sei es durch ausländische Geschäftsbeziehungen oder sogar Direktinvestitionen – brauchen einen umfassenden Nährboden als Rahmenbedingung. Sehr häufig verwenden Betriebswirte in ihrer Analyse dafür das so genannte PESTLE-Rahmenkonzept. P steht dabei für politische Rahmenbedingungen, E = für ökonomische Bedingungen, S für Soziale Bedingungen, T für technologische Bedingungen, L für den rechtlichen Rahmen und E für ökologische oder Umweltbedingungen. Hier sind Stärken, aber auch Schwächen zu identifizieren.

Betrachtet man Griechenland, dann gibt es – allen Unkenrufen zum Trotz – eine ganze Reihe von Stärken. In Griechenland gibt es bei aller Medienkritik immer noch eine funktionierende Demokratie. Griechenland ist Teil der Europäischen Union und damit eingebettet in die politischen Prozesse und Regularien, die wir in Europa für alle Länder, auch für Deutschland eingerichtet haben. Die geographische Lage im Mittelmeer ist gerade aus internationaler Produktions- und Logistikperspektive sehr gut zu beurteilen. Es gibt eine starke Tourismusbranche – auch das ein ökonomisches Plus, aber nicht das einzige: Die Software, mit denen sich Smartphones in WiFi-Hotspots einloggen, stammt aus Griechenland – entwickelt vom griechischen Start-up Helic. Zwei Drittel der Bevölkerung zwischen 25 und 64 Jahren haben lt. OECD-Bericht einen Abschluss im Sekundarbereich II, das liegt nur geringfügig unter dem OECD-Durchschnitt von 75%. Es gibt in Griechenland tatsächlich auch Spitzenforschungseinrichtungen: Das nukleare Forschungszentrum Demokritos in Athen, die Stiftung für Forschung und Technologie Hellas in Heraklion auf Kreta mit Schwerpunkten in der Lasertechnologie und der Molekularbiologie oder das Zentrum für Forschung und Technologie (Certh) in Thessaloniki, wo zu Telematik oder Chemieverarbeitung gearbeitet wird. Dass diese Einrichtungen zur europäischen Spitze gehören, ist kaum bekannt – es gibt eben nicht nur Hotelbetten oder Olivenbäume in Griechenland. Betrachtet man die rechtlichen Rahmenbedingungen in Griechenland, dann stellt man fest, dass das griechische Zivilrecht deutlich weniger entfernt vom deutschen Rechtssystem ist, als man oft meint. Und last but not least gibt es in Griechenland zunehmen landwirtschaftliche Betriebe, die sich einer ökologisch verantwortlichen und nachhaltigen Produktion verpflichtet sehen.

Aber genauso wie diese Stärken gibt es auch Schwächen. Das politische System war in den vergangenen Jahren vor allem durch Nepotismus und Korruption gekennzeichnet. Es fehlt an einer starken Industrie. Gründer und erfolgreiche Unternehmer wandern eher aus. Vielleicht aufgrund von fiskalischem Druck, denn die Steuern sind viel zu hoch: Aufgrund viel zu hoher Staatschulden und einer schlechten Steuermoral. Viele Unternehmen sind immer noch in staatlicher Hand und haben aus betriebswirtschaftlicher Sicht erhebliche Effizienzreserven, die gehoben werden müssen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Nur rund 49% der erwerbsfähigen Männer und Frauen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren gehen einer bezahlten Beschäftigung nach; im OECD-Schnitt sind es 65%. Diese Griechen verdienen im Jahr rund 25.000 €, etwa 2/3 des OECD-Durchschnitts, bei einer vergleichsweise hohen Einkommensungleichheit. Die Wirtschaftskrise hat zudem zu Deflation geführt, d.h. was für ausländische Unternehmen den Markt in Griechenland wenig attraktiv macht. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind in Griechenland äußerst niedrig. Dazu kommt, dass Bürokratie und Rechtsunsicherheit sowie wenig effiziente administrative Prozesse die rechtliche und Verwaltungsumgebung schwer handhabbar machen. Und ökologische Vorschriften werden – genauso wie die Steuergesetze, so wird zumindest kolportiert – eher nicht eingehalten als befolgt.

Was kann getan werden, um diese schwierige Situation für Unternehmen aufzulösen? Eine einfache Antwort konnte auch in der Diskussion nicht gefunden werden. Dass ein Ende der Wirtschaftskrise ohne externe Hilfe wohl kaum möglich sein wird, darin waren sich die Diskutanten einig. Kostas Chrysogonos vertrat allerdings klar die Position, dass die notwendigen Reformen, um all diese Schwächen anzugehen, eine demokratische Legitimation benötigen: Sie könnten nicht von außen indoktriniert werden, sondern müssten von einer (auch) durch die griechische Bevölkerung gewählten Institution umgesetzt werden. Letztlich bedeute, so Chrysogonos, aber auch den Weg in einen Bundesstaat anstelle des bisher lockeren Staatenbundes. Individueller Rationalität, so das Feedback aus dem deutschen Publikum, entspräche das nicht – aber, so das Fazit der Teilnehmer, einer kollektiven Rationalität, die bei allen Schwierigkeiten trotzdem an ein konstruktives Miteinander in einem friedlichen Europa glaubt.

Kategorie/n: WiWi-Accounting-Aktuell
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