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Lost in Information? Der Mensch als Entscheider muss stärker in den Fokus rücken! (11/2020)

Prof. Dr. Barbara E. Weißenberger und Maren Hartmann

Executive Summary

Big Data, künstliche Intelligenz, leistungsstarke Business Intelligence Tools: bessere Entscheidungen oder Gefahr des „Information Overload“? Damit der erhoffte Effekt eintritt, muss der Mensch als Entscheider in Unterneh- men wieder stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken – und mit den richtigen Werkzeugen, Prozessen und Strukturen unterstützt werden. Die Strukturen müssen in eine Entscheidungskultur eingebettet werden, die die Realität großer Informationsmengen und sich schnell ändernder Rahmenbedingungen verinnerlicht hat.

Die Menge verfügbarer Informationen ist in den letz- ten Jahren stark gestiegen. Unternehmen haben des- halb hohe Erwartungen an die Potenziale, die in die- sen Datenschätzen verborgen sind. Gleichzeitig sind Entscheider mit großen Datenmengen konfrontiert, auf deren Basis sie in immer kürzeren Abständen Ent- scheidungen treffen müssen. Während aber die Ka- pazitäten für die Datenverarbeitung gewachsen sind, hat sich die Art und Weise, wie Menschen mit Infor- mationen umgehen, nicht verändert. 

Heute mehr denn je gibt es deshalb die Gefahr des „Information Overload“, d.h. der Gefahr, dass die zu verarbeitende Informationsmenge die menschliche Informationsverarbeitungskapazitäte übersteigt. Die Art und Weise der Informationsverarbeitung wird fehlerhaft, die Entscheidungsqualität leidet und der erhoffte Effekt einer verbesserten Unternehmensper- formance, optimierter Prozesse oder höherer Trans- parenz tritt nicht oder nur eingeschränkt ein.

Daten – das Öl des 21. Jahrhunderts

Unternehmen nutzen die neuen großen Datenmen- gen (‚Big Data‘) strategisch, um neue Geschäftsmo- delle zu entwickeln, Kundenbedürfnisse besser zu verstehen, aber auch operativ, um interne Prozesse zu optimieren. Die Daten, die in Unternehmen so für das Treffen von Entscheidungen verwendet und als Teil des Berichtswesens verfügbar gemacht werden, sind dabei nicht nur finanzieller Natur, sondern um- fassen auch nichtfinanzielle Daten aus weiteren Funktionen (bspw. Vertrieb, Marketing, Produktion).

Neben den internen Daten gewinnen unternehmens- externe Daten immer stärker an Relevanz, bspw. Da- ten aus Social Media oder Kundenbewertungen. Leis- tungsstarke Business Intelligence Systeme eröffnen die Möglichkeit, diese Daten nicht nur effizient zu speichern, sondern auch schnell abzurufen und aus- wertbar zu machen. Auch die Art der Auswertung hat sich verändert. Big Data eröffnen Potenziale für die Anwendung von Algorithmen: In der Analyse der Vergangenheit (deskriptiv), um Trends vorherzusa- gen (prädiktiv) oder Entscheidungen vorzuschlagen (präskriptiv).

Gleichzeitig verkürzen sich die Steuerungszyklen in Unternehmen. Entscheidungen müssen wesentlich schneller getroffen werden als früher – und das nicht nur in Krisensituationen. Kennzahlen zu Performance und Liquidität, aber auch zu Prozessen werden in viel höherer Frequenz als bisher überwacht.

Der Mensch im Informationsuniversum

Das Erzeugen oder Beschaffen und Auswerten von Informationen verursacht Kosten: IT-Kosten für die Bereitstellung der Systeme, aber auch Personalkos- ten sowohl auf der „Erzeugerseite“ (bspw. auf Seiten des Controllings für die Erstellung von Berichten) als auch auf der Empfängerseite – hier entspricht es der Zeit für das Lesen und Verarbeiten der bereitgestell- ten Berichte und Informationen. Diese Investitionen sollten sich natürlich „auszahlen“.

Damit das Problem des Information Overload ver- mieden wird, muss der Mensch als „Informationsver- arbeiter“ viel stärker als bisher in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken und adäquat unterstützt werden. Dies beginnt bei der konsequenten Bewertung des In- formationsinputs hinsichtlich seiner Relevanz und endet bei der Entscheidungskultur im Unternehmen, die wichtiger Treiber für die Art und Weise der In- formationsnutzung ist.

Herausforderung: Informationen filtern

Der erste Schritt zur Vermeidung von Information Overload ist es, den Input so zu filtern, so dass aus- schließlich die wichtigsten Informationen genutzt werden. Wie aber können diese identifiziert werden?

  1. Ein Kriterium ist, dass es sich um Informationen handeln muss, die dazu führen, dass eine Ent- scheidung besser bewertet werden kann. Die neue Information leistet also einen nennenswerten Bei- trag zur Erklärung oder sorgt dafür, dass ein zu- künftiges Ereignis besser vorhergesagt werden kann.
  2. Ein ergänzendes Kriterium kann die Bewertung der Informationen vor dem Hintergrund der stra- tegischen Ziele sein. Geben die Informationen bspw. Aufschluss darüber, ob ein wichtiges stra- tegisches Ziel erreicht werden kann?
  3. Redundanzen sollten grundsätzlich vermieden werden, d.h. beispielsweise nicht die gleichen In- formationen in verschiedenen Berichten parallel abzubilden.
  4. Weiterhin gilt es, wo sinnvoll, eine Standardisie- rung der berichteten Inhalte sicherzustellen. Klar strukturierte Berichte helfen bspw., verschiedene Divisionen eines Unternehmens leichter zu ver- gleichen. In gleichbleibenden Formaten ist es au- ßerdem einfacher, die relevanten Informationen schnell zu identifizieren.

Neu: Maschinen helfen Menschen

Informationen werden nicht isoliert bereitgestellt, sondern sind Bestandteil von Aufgaben, die in Unter- nehmen erledigt werden müssen. Je nachdem, wie diese Aufgaben ausgestaltet werden, können sie die damit einhergehende Informationsverarbeitung ver- einfachen oder erschweren. Entscheider können mit den richtigen Werkzeugen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützt werden.

Hier kommen neue Informationstechnologien zum Einsatz. So kann z.B. mit modernen Reporting-Tools auf relevante Informationen oder Abweichungen au- tomatisiert hingewiesen werden. Technisch ist es auch möglich, „Navigationspfade“ zu definieren, die den Entscheider dabei unterstützen, sich den relevan- ten Informationen Schritt für Schritt zu nähern. Ein weiteres Element ist die Unterstützung in der Ent- scheidungsvorbereitung, z.B. durch Richtlinien, die das Entscheidungsproblem strukturieren.

Klar strukturierte Entscheidungen (d.h. Entscheidun- gen, die auf Basis definierter Kriterien getroffen wer- den können) können heute vollständig automatisiert werden. In ähnlicher Manier können komplexere Ent- scheidungen entsprechend vorbereitet werden, so dass der Entscheider nur noch mit dem Ergebnis der Aufbereitung interagiert, aber das Zusammenführen und Bewerten der Informationen nicht mehr selbst durchführt. Der Mensch tritt hier also vielmehr als ein „Überwacher“ der maschinell durchgeführten Prozesse und nicht mehr als „Informationsverarbei- ter“ in Erscheinung.

Unverzichtbar: Unterstützende Strukturen

Neben der direkten Unterstützung bei der Entschei- dungsfindung helfen adäquate Prozesse und Struktu- ren, dem Problem des Information Overload entge- genzuwirken. Um das Übel an der Wurzel zu fassen, können Bewertungskriterien definiert werden, die transparent machen, ob sich eine Investition in ein Mehr an Informationen lohnt: Werden bspw. Pro- dukte profitabler? Können Entscheidungen nach- weislich besser getroffen werden?

Ein weiterer Aspekt: Einmal erschaffen, werden exis- tierende Informationen (bspw. Berichte) oft nicht mehr hinterfragt. Ein Ansatz des „Information Life- cycle Managements“, das regelmäßig vorhandene In- formationen auf ihren Nutzen prüft, kann dabei un- terstützen die Informationsmenge nicht unkontrol- liert anwachsen zu lassen.

Andere Ansätze beziehen sich auf die Art und Weise, wie Informationen diskutiert und Entscheidungspro- zesse organisiert sind. Ein klassisches Beispiel sind hier die monatlichen Ergebnisdurchsprachen. Sie sollten so strukturiert sein, dass ein konsequenter Fo- kus auf die relevanten Informationen gelegt wird. Ebenso helfen klare Formate für wiederkehrende Ent- scheidungsprozesse (bspw. Templates für Investiti- onsentscheidungen), sich auf die erforderlichen In- formationen zu beschränken. Die in den meisten Un- ternehmen vorhandenen Richtlinien, welche definie- ren, welche Ebenen je nach Höhe einer Investition einbezogen werden müssen, tragen ebenfalls dazu bei, Fehler zu meiden. Ebenso kann in bestimmten Fällen das Bewerten von Informationen in Gruppen die Entscheidungsqualität erhöhen.

Ergänzend sollten Mitarbeiter geschult werden und auf die Gefahr des Information Overload aufmerk- sam gemacht werden. Daneben ist es erforderlich, so- wohl die Entscheider im Management als auch die Mitarbeiter im Controlling in ihrer Rolle als Bereit- steller von Informationen im Hinblick auf die Anwen- dung der oben genannten Werkzeuge (moderne Re- porting Tools, Automatisierung der Entscheidungs- vorbereitung) zu schulen. Wie können zum Beispiel die Ergebnisse komplexer Algorithmen in die Stan- dard-Controllingprozesse integriert werden? Schritt für Schritt verändert sich so das Aufgabenprofil des Controllers, um den sich verändernden Rahmenbe- dingungen gerecht zu werden.

Nährboden: Eine neue Entscheidungskultur

Die Unternehmenskultur ist ein wesentlicher Treiber für die Art und Weise, wie Informationen in Unter- nehmen bereitgestellt und genutzt werden. Der herr- schende „Tone at the Top“, klassischerweise bekannt als Einfluss des Top-Managements auf ethisches Ver- halten im Unternehmen, treibt auch hier das Verhal- ten der Akteure in der Organisation und kann sowohl hinderlich als auch förderlich für einen effektiven Umgang mit den steigenden Informationsmengen sein.

Eine große Menge an Informationen oder ein hoher Detailgrad wird oft mit einem Gefühl der Entschei- dungssicherheit in Verbindung gebracht („wir haben das Problem sehr detailliert bewertet und von allen Seiten beleuchtet“). Der Zusammenhang zwischen Informationsmenge und Entscheidungsqualität ist aber nicht zwingend gegeben, wenn die Informatio- nen redundant oder bspw. von schlechter Qualität sind. Eine mögliche „Detailverliebtheit“ des Top-Ma- nagements kann sich leicht kaskadenartig in der Or- ganisation verankern. Wenn regelmäßig sehr detail- lierte Auswertungen angefordert werden, werden diese in „vorauseilendem Gehorsam“ oder aus der Be- fürchtung heraus, Rückfragen nicht ad-hoc beant- worten zu können, vorgehalten.

Sofern diese Detailberichte nicht nach einem gewis- sen Zeitraum wieder eliminiert werden, entsteht ein „Teufelskreis der Informationsgenerierung“, der das Problem des Information Overload verstärkt.

Ein mutiges Weglassen von nicht mehr benötigten Informationen (bspw. von redundanten Berichten) hingegen fördert einen „gesunden“ Umgang der Or- ganisation mit den stark gestiegenen Informations- mengen. Hierzu gehört ebenfalls die Offenheit, sich auf neue Tools und Prozesse einzustellen – kurzum, die „Unterstützung der Maschinen“ anzunehmen – und wo erforderlich, ein angemessenes Maß an Un- sicherheit zu tolerieren.

Weiterführende Literatur

Economist Intelligence Unit (2013): The data directive. How data is driv- ing corporate strategy - and what still lies ahead: An economist Intelli- gence Unit report. Retrieved from https://eiuperspectives.economist.com/technology-innovation/data-directive/white-paper/data-directive.

Hartmann, M. (2020): Information Overload Research in Accounting – A Systematic Review of the Literature. Available at SSRN: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3722423.

Hartmann, M./Weißenberger, B. E. (2020): Decision-Making in the Capi- tal Budgeting Context – Effects of Type of Decision Aid and Increases in Information Load. Available at SSRN: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3722448.

Simons, P./Masamvu, T. (2014). Big data: Readying business for the big data revolution (CGMA Briefing Paper), https://competency.aicpa.org/media_resources/206475-big-data-readying-business-for-the-big-data-revolu/detail.

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