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Wie lassen sich Entscheidungsfehler in Projekten vermeiden? Hinweise aus der Controllingforschung (05/2021)

Dr. Christine Ohlert

Executive Summary

Viele unternehmerische Entscheidungen werden durch Denkfehler, Verhaltensanomalien und Entscheidungsdysfunktionalitäten des Managements negativ beeinflusst. So können beispielsweise Entscheidungsdefekte wie ‚Escalation of Commitment‘, ‚Sunk Cost Fallacy‘ und ‚Basisraten-Fehler‘ zu systematischen Fehlern bei Investitionsentscheidungen und Wahrscheinlichkeitseinschätzungen führen. Grund hierfür ist, dass Menschen in komplexen Entscheidungssituationen häufig Heuristiken verwenden und den Entscheidungsprozess somit u. U. nicht hinreichend rational fundieren. Dieses Problem lässt sich jedoch durch verschiedene Debiasing-Strategien mildern. In experimentellen Settings konnte gezeigt werden, dass Wahrscheinlichkeitseinschätzungen von Managern insbesondere dadurch verbessert werden können, dass Informationen zu den Wahrscheinlichkeiten grafisch aufbereitet werden. Investitionsentscheidungen können hingegen vor allem durch die Bereitstellung direkter Methodenanweisungen zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit laufender Projekte, durch eine Überwachung der Projektfortführung durch Kontrollinstanzen und durch eine Präsentation der Projekte relativ zu anderen Investitionsprojekten optimiert werden.

Kognitive Biases in unternehmerischen Entscheidungen

Denkfehler, Verhaltensanomalien und Entscheidungsdysfunktionalitäten (Biases) treten oft bei unternehmerischen Entscheidungen auf. So hat die Wissenschaft vielfach gezeigt, dass Menschen dazu neigen, weiter in unrentable Investitionsprojekte zu investieren, sodass diese Projekte oftmals zu spät oder gar nicht abgebrochen werden – ein kostspieliger Entscheidungsdefekt, auch bekannt als ‚Escalation of commitment‘. Diese Verhaltensanomalie wird u.a. dadurch verursacht, dass vergangenen Kosten irrtümlicherweise eine zu hohe Gewichtung beigemessen wird und eine Fortführung damit gerechtfertigt wird, dass bereits viel Geld investiert wurde – ein systematischer Denkfehler, der auch als ‚Sunk cost fallacy‘ bezeichnet wird. Weiterhin haben Menschen Schwierigkeiten, bedingte Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen, die z.B. im Rahmen von Forecasts oder Szenario-Analysen eine wichtige Rolle spielen. So werden Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Ereignisses fehleingeschätzt, da die Grundgesamtheit teilweise    oder ganz missachtet wird – der sogenannte ‚Basisraten-Fehler‘ (Base-rate neglect). Folglich kommt es zu systematischen Fehlern bei Investitionsentscheidungen und Wahrscheinlichkeitseinschätzungen, was sich negativ auf die Unternehmensperformance auswirken kann.

Die Ursache, wieso es zu kognitiven Biases kommt, liegt in der Natur des Menschen, nämlich die Art und Weise, wie wir Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen. Da die menschliche Kapazität, Informationen zu verarbeiten, begrenzt ist, nutzen wir insbesondere in komplexen Entscheidungssituationen unter Unsicherheit mentale „Abkürzungen“, sogenannte Heuristiken, um Urteile und Entscheidungen zu treffen. Dieser intuitive Denkansatz unterstützt vor allem schnelles Urteilen und Entscheiden, kann jedoch auch dazu führen, dass der Entscheidungsprozess nicht hinreichend rational fundiert ist und es so zu Denkfehlern, Verhaltensanomalien und Entscheidungsdysfunktionalitäten kommen kann. Aufgrund der Tatsache, dass alle Menschen – auch Manager – Biases unterliegen, stellt sich die nachfolgende zentrale Frage: 

Wie kann die Entscheidungsqualität in der Unternehmenspraxis gesichert werden?

Es gibt eine Vielzahl an Maßnahmen und Strategien, die darauf abzielen, Biases zu reduzieren bzw. zu eliminieren (Debiasing). So schlägt die Wissenschaft zwei verschiedene Debiasing-Ansätze vor: (1) Modifizierung des Entscheiders, oder (2) Modifizierung der Entscheidungsumwelt. Instrumente des ersten Ansatzes zielen darauf ab, dass Entscheidungen mehr über eine analytische und rationale Herangehensweise getroffen werden, indem Entscheider z.B. Entscheidungsregeln oder -hilfen bereitgestellt werden. Wohingegen Maßnahmen des zweiten Ansatzes insbesondere darauf abzielen, die Entscheidungsumwelt so zu verändern, dass Entscheider in ihrem natürlichen, intuitiven Denkverhalten unterstützt werden, z.B. über die Darstellungsform von Informationen. Die in der Literatur vorgeschlagenen Debiasing-Maßnahmen können sehr gut durch das Controlling in der Unternehmenspraxis implementiert werden, da das Controlling einen wesentlichen Einfluss darauf hat, wie z.B. Informationen für Managemententscheidungen aufbereitet und dargestellt werden. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung von Debiasing-Maßnahmen besteht jedoch ein großer Entscheidungsspielraum und es existieren nur wenige konkrete Empfehlungen für die Unternehmenspraxis, wie die Entscheidungsqualität von Managern zielgerichtet gesichert werden kann. Daraus ergibt sich die Frage:

Wie sollten Debiasing-Strategien ausgestaltet sein, um Biases in betriebswirtschaftlichen Urteilen und Entscheidungen entgegenzuwirken?

Um eine Antwort auf diese Forschungsfrage geben zu können, wurden verschiedene Experimente durchgeführt. Es wurde untersucht, inwiefern sich die Entscheidungsqualität bei Wahrscheinlichkeitsurteilen und inkrementellen Investitionsentscheidungen durch verschiedene Debiasing-Maßnahmen verbessern lässt. So wurde beispielsweise die Darstellungsform von Informationen zwischen Probanden variiert, um zu analysieren, welche Art der Darstellung (Text vs. Tabelle vs. Grafik) effektiv den Basisraten-Fehler reduziert. Weiterhin wurden diverse Maßnahmen zur Bekämpfung des ‚Sunk cost Effekts‘ bei laufenden Investitionsentscheidungen untersucht, um der mangelnden Bereitschaft schlechte Projekte abzubrechen, entgegenzuwirken. Dabei wurde analysiert, ob Gegenmaßnahmen wie die Bereitstellung von eindeutigen Projekt-Informationen, der Einsatz von Entscheidungshilfen, oder eine sequentielle Präsentation von verschiedenen Investitionsprojekten effektiv sind. Auf Basis der Ergebnisse der experimentellen Forschung können die nachfolgenden Gestaltungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis gegeben werden:

Wahrscheinlichkeitseinschätzungen werden akkurater, wenn:

  • Informationen zu (bedingten) Wahrscheinlichkeiten grafisch dargestellt werden. Die Darstellungsform von Wahrscheinlichkeiten hat einen signifikanten Einfluss darauf, wie Wahrscheinlichkeitsurteile ausfallen. Dabei zeigt sich, dass eine visuelle Darstellungsform von Wahrscheinlichkeiten (besonders im Vergleich zu Tabellen) zu signifikant besseren Wahrscheinlichkeitsurteilen führt und den Basisraten-Fehler effektiv bekämpft. Dieser Effekt führt speziell bei Menschen mit geringeren betriebswirtschaftlichen Kenntnissen zu besseren Urteilen. Controller sollten sich also bewusst sein, dass sie über die Aufbereitungsart von Informationen einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie Wahrscheinlichkeiten eingeschätzt werden. 

Investitionsentscheidungen werden akkurater, wenn:

  • Entscheider eine direkte Methodenanweisung bekommen, wie die Wirtschaftlichkeit laufender Investitionsprojekte ‚rational‘ bestimmt werden sollte. Entscheidungshilfen in Form von direkten Methodenanweisungen (besonders im Vergleich zu einem reinen Ausweis von Sunk costs) führen zu signifikant besseren Investitionsentscheidungen – auch wenn bereits ein hoher Anteil an Investitionskosten ausgegeben wurde. Eine Methodenanweisung führt dazu, dass Entscheider an normative Entscheidungsregeln erinnert werden und der Sunk cost Effekt einen geringeren Einfluss auf den Entscheider hat. Das heißt: Entscheider rechtfertigen eine Fortführung des Projekts deutlich seltener damit, dass bereits viel Geld investiert wurde. Stattdessen wird die Investitionsentscheidung auf Basis rationaler Bewertungskriterien gerechtfertigt. Der Debiasing-Effekt einer Methodenanweisung wirkt jedoch nur, wenn die Entscheidungshilfe hinreichend vom Entscheider berücksichtigt wird. Je stärker das Gefühl, dass Geld verschwendet sein könnte, wenn das laufende Investitionsprojekt gestoppt wird, desto geringer ist die Effektivität dieser Debiasing-Methode, da Entscheider die Methodenanweisung dann weniger bis gar nicht berücksichtigen. Wird die Methodenanweisung vom Entscheider jedoch beachtet, kann die Effektivität der Debiasing-Maßnahmen nochmals gesteigert werden, indem entscheidungsrelevante Informationen wie zukünftige Kosten und Erlöse seitens des (Projekt-) Controllings bereitgestellt werden. 
  • Es Kontrollinstanzen gibt, die die Fortführung von laufenden Investitionsprojekten überwachen. Die Bereitstellung von entscheidungsrelevanten Informationen allein führt nicht automatisch zu guten oder besseren Investitionsentscheidungen, da Entscheider unabhängig von der Faktenlage Investitionsprojekte weiterführen. Selbst wenn eindeutige Informationen z.B. zum Risiko des Projekts sowie der erwartete finanzielle (Miss-) Erfolg des Projekts vorliegen, werden diese Informationen ignoriert bzw. systematisch verdreht. Da Entscheider meist eine starke Präferenz haben, Projekte fortzuführen, die sie einst initiiert haben, besonders wenn bereits viel Geld investiert wurde, neigen Entscheider dazu, Informationen, die nicht konsistent zu ihrer Präferenz sind, verzerrt wahrzunehmen. Dies ist eine Verhaltensanomalie, die als ‚Confirmation Bias‘ bezeichnet wird und ‚Escalation of Commitment‘ begünstigt. Eine verzerrte Wahrnehmung von objektiven Informationen führt dazu, dass sich Entscheider die Fortführung eines Projekts „schön reden“ (sich selbst während des Entscheidungsprozesses, und nach der Entscheidung die Projektfortführung mit verzerrten Fakten anderen gegenüber rechtfertigen). Daher ist es sinnvoll, dass bei wichtigen Entscheidungen unabhängige (neutrale) Personen bei der Entscheidungsfindung involviert sind, die nicht emotional an das Projekt gebunden sind und etwaige Eigeninteressen verfolgen. Hier kommt der Controller ins Spiel. So kann sichergestellt werden, dass Investitionsprojekte richtig bewertet werden und eine Fortführungsentscheidung analytisch getroffen wird.  
  • Laufende Investitionsprojekte relativ zu anderen Projekten präsentiert und bewertet werden. Eine sequentielle Präsentation mehrerer Investitionsprojekte führt dazu, dass Entscheider Projekte kritisch miteinander vergleichen, sodass Informationen, die im Kontrast zum Vergleichsobjekt stehen, stärker beachtet werden. Auf diese Weise verarbeiten Entscheider insbesondere negative, d.h. präferenz-inkonsistente Informationen, besser und erhalten dadurch ein realistischeres Bild über den aktuellen Status des Projekts. Wenn Entscheider mehrere Projekte nacheinander bewerten müssen und Investitionsentscheidungen sequentiell treffen, orientieren sich Entscheider an ihrer ersten Investitionsentscheidung und preisen dies bei nachfolgenden Entscheidungen ein. Da Entscheider konsistent sein wollen, orientieren sie sich nicht übermäßig an vergangenen Kosten, sondern an entscheidungsrelevanten Kriterien, die dafür oder dagegen sprechen, das Projekt aus heutiger Sicht und besonders im Vergleich zu anderen Projekten weiterzuführen. Dieses Verhalten führt zu signifikant besseren Investitionsentscheidungen. Durch eine geschickte Präsentation von mehreren Projekten nacheinander können Unternehmen auf diese Weise die Entscheidungsqualität von laufenden Investitionsentscheidungen signifikant verbessern, insbesondere bei Projekten mit eindeutig negativen Erfolgsaussichten. Investitionsprojekte mit negativen Erfolgsaussichten sollten am Ende präsentiert werden, damit Entscheider wahrnehmen, dass es rational sinnvoller sein kann, dass Projekt – zumindest aus ökonomischen Gesichtspunkten – zu stoppen. 

Fazit

Unternehmen sollten ihre Entscheidungsprozesse kritisch hinterfragen und untersuchen, ob systematische Entscheidungsdysfunktionalitäten auftreten, die die Unternehmensperformance negativ beeinflussen. Um typischen Biases bei inkrementellen Investitionsentscheidungen wie dem Sunk cost Effekt oder dem Basisraten-Fehler bei Wahrscheinlichkeitsurteilen entgegenzuwirken, empfiehlt sich eine geschickte Gestaltung der Entscheidungsumwelt. Auf diese Weise kann das Verhalten von Managern gezielt beeinflusst werden. Dieser Debiasing-Ansatz ist nicht nur kostengünstig, sondern auch effektiv und bietet damit den höchstbringenden Nutzen für Unternehmen, besonders im Vergleich zum alternativen Debiasing-Ansatz, Entscheider zu „rationalerem“ Urteilen und Entscheiden zu bewegen. Controller sollten daher zukünftig stärker die Rolle eines sogenannten ‚Choice Architect‘ übernehmen, der sich als Gestalter der Entscheidungsumwelt versteht und Entscheidungsprozesse so gestaltet, dass die Entscheidungsqualität des Managements gesichert wird. Eine verhaltensorientierte Sicht seitens des Controllings stellt daher eine wichtige Ergänzung zu bisherigen traditionellen (Controlling-) Systemen dar und verspricht einen erhöhten Grenznutzen für Unternehmen.

Weiterführende Literatur

Bazerman, M. H./Moore, D. A. (2008): Judgment in managerial decision making. New York: John Wiley & Sons

Gilovich, T./Griffin, D. W./Kahneman, D. (2002): Heuristics and biases: The psychology of intuitive judgement. Cambridge, U.K. &, New York: Cambridge University Press.

Ohlert, C.R./Weißenberger, B.E. (2015): Beating the base-rate fallacy: an experimental approach on the effectiveness of different information presentation formats. In: Journal of Management Control, Vol. 26, Heft 1, 51-80.

Ohlert, C.R./Weißenberger, B.E. (2020): Debiasing escalation of commit- ment: the effectiveness of decision aids to enhance de-escalation. In: Jour- nal of Management Control, Vol. 30, Heft 4, S. 405-438.

Sleesman, D.J./Conlon, D. E./McNamara, G./Miles, J. E. (2012): Cleaning up the big muddy: A meta-analytic review of the determinants of escala- tion of commitment. In: Academy of Management Journal, Vol. 55, Heft 3, S. 541–562.

Soll, J. B./Milkman, K. L./Payne, J. W. (2015): A User's Guide to Debiasing. In G. Keren/G. Wu (Hrsg.): The Wiley-Blackwell handbook of judgment and decision making. Chichester: Wiley-Blackwell, S. 924–951.

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