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Compliance und Korruptionsprävention: Den Verhaltenskodex richtig gestalten (01/2021)

Prof. Dr. Barbara E. Weißenberger

Executive Summary

Wirtschaftskriminalität hat viele Gesichter, und Korruption ist eines davon! Wie aber die Compliance, also gesetz- und regelkonformes Verhalten, im Unternehmen sicherstellen? Ein zentrales Instrument dafür sind Verhaltenskodizes. Für deren Wirksamkeit kommt es aber auch auf die Ausgestaltung und die Einbettung in die gesamte ethische Infrastruktur an.

Annahme von Bestechungsgeldern oder Kick-Back-Zahlungen, das Vor- oder Zurückdatieren von Verträgen, um persönliche Vorteile zu erlangen, unerlaubte Preisabsprachen und andere Marktmanipulationen oder das Vortäuschen von in Wirklichkeit gar nicht vorhandenem Vermögen, Umsatz oder Gewinn wie jüngst im Fall Wirecard: Der Blick in die Wirtschaftspresse erweckt den Anschein, als ob es in deutschen Unternehmen mit dem Befolgen gesetzlicher Vorschriften nicht allzu weit her ist.

Auch der Gesetzgeber zieht die Zügel an. Als Reaktion auf den Wirecard-Skandal steht aktuell der Referentenentwurf für ein Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) im Raum, der für börsennotierte Gesellschaften künftig explizit ein „angemessenes und wirksames internes Kontroll- und Risikomanagementsystem“ (§ 93 Abs. 1a AktG-E) fordert.

Eine jüngst von KPMG veröffentlichte Studie belegt, dass es vielfach die eigenen Beschäftigten sind, die dem Unternehmen durch Korruption, Betrug und Untreue, Diebstahl und Unterschlagung oder den Verrat von Geschäftsgeheimnissen schaden. Mit zum Teil enormen Schadens- und Strafsummen, gerade bei Kartellverstößen, belasten diese Vorfälle Unternehmen erheblich und können sie sogar in den Abgrund reißen. Das gilt auch und ganz besonders für den Mittelstand, der in vielen Fällen ohnehin unter einer angespannten Eigenkapitalquote und eher knappen Liquidität leidet. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu verstehen, wie es überhaupt zu Compliance-Verstößen kommt und welche Möglichkeiten es gibt, diese zu vermeiden, ohne das Unternehmen durch eine Vielzahl von Detailregelungen und Überbürokratisierung handlungsunfähig zu machen. In einer umfangreichen Studie mit über 5.000 Beschäftigten mit Führungsverantwortung in einem großen europäischen Technologiekonzern haben wir diese Frage im Detail untersucht.

Leistungsdruck als Ursache für Compliance-Probleme

Ein Schlüsselfaktor für die Entstehung von Compliance-Verstößen ist Leistungsdruck, unter den die Beschäftigten auf unterschiedlichsten Hierarchieebenen durch strenge Vorgaben oder auch ein schwieriges Umfeld gesetzt werden. Je höher dieser Druck, so ein einfacher Grundsatz, umso größer die Gefahr, dass Regelverstöße in Kauf genommen oder sogar aktiv initiiert werden, um die gesetzten Ziele dennoch zu erreichen. Ein plakatives Beispiel liefert hier die Berichterstattung zum Abgas-Skandal bei Volkswagen. Augenscheinlich herrschte hier ein sehr hoher Druck, eine technisch anspruchsvolle und in der Umsetzung zudem noch teure Lösung für die Einhaltung von Abgasgrenzwerten bei gleichzeitiger Einhaltung eines engen Kostenrahmens zu realisieren.

Verhaltenskodex als erster Lösungsschritt

Ein erfolgversprechender erster Lösungsschritt für Compliance-Probleme ist deshalb gerade nicht, den Erfolgsdruck durch noch mehr Vorgaben zu verstärken. Vielmehr muss im Mittelpunkt stehen, die Beschäftigten für Compliance-Fragen zu sensibilisieren, um das gewünschte Verhalten überhaupt zu erreichen. Eine oftmals unterschätzte Rolle spielen dabei Verhaltenskodizes (oft auch als Code of Conduct bezeichnet), die man inzwischen bei fast allen börsennotierten, jedoch nicht immer bei mittelständischen, Unternehmen finden kann. Ein guter Verhaltenskodex beschreibt die aus Unternehmenssicht ‚richtigen‘ bzw. ggf. ‚verbotenen‘ Handlungsalternativen für möglichst viele kritische Situationen, z.B. bezogen auf die Annahme von Geschenken, das Ausnutzen illegal erworbener Vorteile oder das Verhalten in wettbewerbsrechtlich sensiblen Situationen, wenn z.B. in Gesprächen mit Branchenvertretern plötzlich Preise oder Kapazitäten erwähnt werden. Sehr häufig werden Verhaltenskodizes Bestandteil des Arbeitsvertrags, z.B. wenn sie durch die Beschäftigten unterzeichnet werden. Teilweise erstrecken sie sich sogar auf außenstehende Vertragspartner, wenn z.B. Unternehmen von ihren Zulieferern die Einhaltung eines Lieferanten-Kodex (Supplier Code of Conduct) verlangen, um auch in vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette Verstöße gegen Umweltauflagen oder Arbeitnehmerrechte auszuschließen.

Formale Ausgestaltung von Verhaltenskodizes

Eine in der Unternehmenspraxis sehr spannende, bis zu unserer Studie aber wissenschaftlich noch kaum untersuchte, Fragestellung bezieht sich auf die formale Ausgestaltung von Verhaltenskodizes. Wir haben deshalb untersucht, wie sich die Gestaltungsmerkmale eines Verhaltenskodex auf das Entscheidungsverhalten in kritischen Dilemma-Situationen auswirken, in denen das persönliche Interesse eher zu einer Verletzung bestehender Regelungen führen würde. Um die Wirkungsweise unterschiedlicher Gestaltungsmerkmale testen zu können, erhielten die befragten Personen jeweils eine von zwölf verschiedenen Varianten eines inhaltlich ansonsten identischen Kodex – und interessanterweise konnten tatsächlich Unterschiede identifiziert werden.

Klare Positionierung der Geschäftsleitung

So wirkt ein Verhaltenskodex dann besonders gut, wenn er unmissverständlich die Position der Geschäftsleitung zu wünschenswertem bzw. unerwünschtem Verhalten zum Ausdruck bringt. Das fängt damit an, dass ein Verhaltenskodex auch von der Geschäftsleitung unterzeichnet sein sollte. Es bedeutet aber auch, dass Verbote bzw. unerwünschtes Verhalten klar und deutlich genannt werden. Hilfreich ist auch die Bezeichnung als „Ethik-Kodex“, um die Beschäftigten für die ethisch-moralische Dimension ihres Handelns zu sensibilisieren.

Bilder sagen mehr als tausend Worte

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Verwendung von visuellen Unterstützungselementen. So trägt die Abbildung des gewünschten Mitarbeiterverhaltens durch Fotos oder Grafiken dazu bei, dass der Verhaltenskodex schneller gelernt und in den Entscheidungssituationen auch besser wieder abgerufen werden kann.

Muttersprache ist wichtig

Gerade in internationalen Konzernen ist die Übersetzung in die Muttersprachen, die in den verschiedenen Regionen gesprochen werden, ein oft diskutiertes Thema. Aus juristischer Sicht wird oft darauf gepocht, Verhaltenskodizes ausschließlich in der Konzernsprache zu schreiben, um im Zweifel eine einheitliche Auslegung zu gewährleisten bzw. Übersetzungsfehler oder abweichende Ausdrucksweisen zu vermeiden. Zudem ist die Übersetzung von Kodizes vergleichsweise teuer und macht Änderungen schwerfällig, die in allen Sprachvarianten zeitnah nachvollzogen werden müssen. Allerdings zeigt unsere Untersuchung, dass die Übersetzung in die Muttersprache zwei ganz wesentliche Vorteile hat, die nicht unterschätzt werden dürfen: Der Verhaltenskodex wird schneller gelernt und in kritischen Situationen dann auch treffsicherer umgesetzt – beides spricht gerade für ein Angebot von Verhaltenskodizes in den Muttersprachen der Beschäftigten.

Compliance-Trainings mit Augenmaß

Ob sich die Beschäftigten eines Unternehmens im Sinne eines Verhaltenskodex ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ verhalten, hängt weiterhin davon ab, inwieweit sie zu den Regelungen des Kodex auch geschult werden. Das von uns untersuchte Unternehmen setzte hier vor allem webbasierte Schulungen ein. Die Ergebnisse zeigen, dass Schulungsmaßnahmen besonders dann effektiv sind, wenn sie möglichst spezifisch sind, d.h. auf ganz bestimmte Situationstypen und Problemfälle abstellen. Weiterhin lässt sich erkennen, dass bereits mit einer Anzahl von zwei Schulungen pro Jahr eine hinreichende Sensibilisierung der Beschäftigten erreicht wird. Eine höhere Anzahl von Schulungen hatte keinen Effekt auf das Entscheidungsverhalten – oder knapp formuliert „viel bringt nicht unbedingt viel mehr“.

Whistleblower schützen

Ein letztes wichtiges Ergebnis der hier vorgestellten Untersuchung betrifft den Einsatz von Hinweiskanälen (whistleblowing), bei denen fremde, aber auch unbeabsichtigte eigene Fehler und Verstöße gemeldet werden können. Beobachtete Verstöße Dritter gegen den bestehenden Kodex werden vor allem dann gemeldet, wenn eine außenstehende Vertrauensperson als Ombudsmann fungiert, so dass Anonymität zugesichert werden kann. Wenn es aber um die Offenlegung eigener Fehler geht, deren Meldung zur Abwendung von Schaden vom Unternehmen genauso bedeutsam sein kann, spielen vor allem interne Hinweiskanäle z.B. zum Chief Compliance Officer eine wichtige Rolle: Das eine (externe Hinweiskanäle) tun, das andere (interne Hinweiskanäle) nicht lassen, ist hier die Devise.

Natürlich bleibt festzuhalten, dass ein Verhaltenskodex keine Wunder bewirken kann. Auch bei einer an und für sich optimalen Ausgestaltung bleibt ein Restrisiko für unerwünschtes Verhalten bestehen, denn kriminelle Energie lässt sich nicht einfach wegregulieren. Aber gerade im Licht der zum Teil riesigen Korruptionsschäden gilt auch, dass eine Reduktion der Regelverstöße ein essentieller Beitrag zum Risikomanagement und Unternehmenserhalt sein kann – In Großunternehmen genauso wie im Mittelstand.

Weiterführende Literatur

Kotzian, P./Stöber, T./Weißenberger, B.E. (2017): Reducing Antitrust Violations: Do Codes of Conduct and Compliance Training Make a Difference? In: J. Paha (Hg.), Competition Law Compliance Programs. An Interdisciplinary Approach, Berlin: Springer, S. 59–86.

KPMG (Hg.) (2020): Im Spannungsfeld. Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2020, unter Mitarbeit von B. Scheben und A. Geschonneck (verfügbar unter https://hub.kpmg.de/wirtschaftskriminalitaet-in-deutschland-2020-im-spannungsfeld, heruntergeladen am 01.12.2020).

Stöber, T./Kotzian, P./Weißenberger, B.E. (2019): Design matters: on the impact of compliance program design on corporate ethics. In: Business Research, Vol. 12, Heft 2, S. 383–424 (Open Access, unter doi.org/10.1007/s40685-018-0075-1 verfügbar).

Stöber, T./Kotzian, P./Weißenberger, B.E. (2019): Culture follows design: Code design as an antecedent of the ethical culture. In: Business Ethics: A European Review, Vol. 28, Heft 1, S. 112–128.

 

Hinweis: Dieser Policy-Brief wurde in veränderter Form am 16.03.2016 unter dem Titel „Vom Lohn der Ehrlichkeit” in der Rheinischen Post / Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen, S. 35, veröffentlicht.

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